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III.

Eine kurze Geschichte der Comedy: Deutschland

Reservierungskärtchen bei der Berliner Comedy-Show 'Wilde Ponys'

E oder U? Comedy oder Kabarett?

Thalhammers Stand-up-Karriere begann auf dem Sofa und führte ihn als Moderator auf die Bühne, aber er wollte mehr und vor allem: häufiger spielen. In München wächst die Szene immer noch langsam. Im Frühjahr 2019 hörte er bei Ja&Weiter als Moderator auf. Seine Leidenschaft drängte ihn nach Berlin. Schnell gründete er Wilde Ponys, eine klassische offene Bühne mit einem experimentellen Teil. Das war auch für Berlin neu  – anfangs kamen kaum Zuschauer. Thalhammer weiß: Alle humoristischen Kunstformen, die sich neben dem politischen Kabarett etablieren wollten, werden in Deutschland erst einmal misstrauisch beäugt.

Comedian Hans Thalhammer ist wegen seiner Liebe zu Stand-up nach Berlin umgezogen
Das hat vor allem mit einem Vorurteil zu tun: Kabarett ist wichtig. Gesellschaftskritisch und anspruchsvoll. Und umgekehrt unterliegt alles, was nicht Kabarett ist, einem Verdacht von Banalität. Abgestempelt als dumpfe Blödelei. Also alles, was irgendwie mit Comedy zu tun hat.

Die Trennung zwischen vermeintlichem Anspruch und Unterhaltung ist ein bekanntes deutsches Phänomen. Kabarett oder Comedy, E- oder U-Musik, Oper oder Musical  – es sind nur einige Beispiele von vielen. Dass so scharf unterschieden wird, war natürlich in der Absolutheit noch nie haltbar, weder zu Goethes noch zu Dieter Hildebrandts Zeiten. Aber es passiert auch nicht zufällig.

Die Alliierten wollen die Deutschen an die Demokratie gewöhnen. Das Kabarett macht das bis heute nach

Ein Blick zurück in die Geschichte kann helfen, die Trennung zu verstehen. Unter den Nazis wurde das Kabarett streng zensiert. Das ändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg, die Alliierten haben nun das Sagen über Kulturpolitik. Bühnen wie das Kom(m)ödchen in Düsseldorf oder die Schaubude in München werden gegründet. Die dienen nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der Entnazifizierung und Umerziehung: Die Deutschen sollen an die Demokratie gewöhnt werden. Diesem pädagogischen Ansatz wird sich das Kabarett in Deutschland lange verpflichtet fühlen. Und von den Medien wird es ständig darin bestätigt: Kabarettist X „hält der Politik“ den Spiegel vor, „liest der Gesellschaft die Leviten“ - solche Sätze liest man auch 2019 noch. Nicht, dass das Spiegel-Vorhalten keine ehrbare Tätigkeit wäre. Aber als Bedingung für Humor ist es auch eine Einschränkung, eine Eisenkugel am Fuß: Sei so kreativ und lustig wie möglich. Mach, was du willst! Aber sei bitte dabei kritisch, böse, klug, selbstironisch und beweise Klasse.

Stand-up-Bühne vor der Show 'Stereo Comedy' in Berlin
Die Nazis hinterlassen dem Land auch die Einsicht: Worte sind gefährlich. Sie können verführen. In der Literatur führt das zur „Kahlschlagliteratur“ der „Stunde null“. Im Fernsehen führt es zu leichter Abendunterhaltung. Beschwingte Shows für die ganze Familie  – während die Engländer oder Amerikaner ziemlich schnell zynische Scherze über den Krieg machen können. „Wir haben einfach Jahrzehnte an Humorentwicklung verloren“, beschreibt der Komiker Oliver Kalkofe das im Podcast Elementarfragen.

Gut 50 Jahre später passieren fast zeitgleich zwei Dinge. Es knallt, es kracht, es wird bunt: In Hamburg wird der Quatsch Comedy Club gegründet. Und auf RTL läuft die erste Ausgabe von RTL Samstag Nacht. Die Sendung ist eine entpolitisierte Version des amerikanischen Saturday Night Life, einer legendären Comedy-Sketch-Show, die etwa Bill Murray oder Eddie Murphy zu Stars gemacht hat. Damit scheint auch die Stand-up-Comedy in Deutschland angekommen.

Ist sie?

Fragt man das heute junge Stand-up-Comedians, schütteln die den Kopf. Nicht die Stand-up-Comedy kommt Anfang der 1990er nach Deutschland, sondern das, was das deutsche Privatfernsehen daraus macht. Comedy ist keine Kultur, sie ist ein bloßes Event.

Einzelne Comedy-Bits auf Zettel notiert
Das Privatfernsehen macht Comedy zwar cool, aber gleichzeitig stutzt es sie zurecht. Während vorher die Propheten des Kabaretts in verwaschenen Pullis zu sehen waren, zieht nun der Rock’n’roll in Jeans und T-Shirt ein. Zugleich muss Sendezeit gefüllt werden, es gibt immer mehr Shows und Formate im TV. Die Fluktuation der Comedians ist groß und viele werden verheizt. Um den großen Bedarf zu decken, wird untereinander kopiert, es werden Programme aus den USA eingekauft, im Hintergrund arbeiten Hunderte Gagschreiber. Die Künstler schreiben ihre Witze nicht selbst. Viele verkleiden sich, ziehen Perücken auf, legen sich Charaktere zu, die sie auf der Bühne ausfüllen. Der arme Beziehungsmensch. Der coole Türke. Der Ruhrpott-Proll.

Das Privatfernsehen macht Comedy cool,
aber es stutzt sie auch zurecht

Auf der Bühne stehen oft keine Menschen, sondern Schablonen. So irre das Fernsehen in den 90ern ist, so viel Herz es auch hat  – häufig wird der erwartbare Witz vorgezogen, die sichere Variante. Es muss für die Masse funktionieren. Müsste man Comedy im Privatfernsehen auf eine Formel bringen, könnte die lauten: Lacht doch mal! Lacht!

Comedy is always on the way somewhere else? Dafür ist kaum Raum.

Stand-up-Comedy landet in Deutschland wie ein Raumschiff, das Städte plattwalzt. Und viele Jahre lang fällt unter den Tisch, dass es da auch Zwischentöne gibt. Denn in den USA ist sie seit den 1950er Jahren als Kunstform organisch gewachsen.

Und damit springen wir über den Atlantik, um den Wolfgang Amadeus Mozart der Stand-up-Comedy kennenzulernen.

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© Bernhard Hiergeist