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V.

Die Ochsentour

Ankündigung einer Stand-up-Show in Berlin

Wie wird man guter Comedian?

Im Dezember 2001 baut das Team der Harald Schmidt Show im Studio in Köln-Mülheim eine Modelleisenbahn auf: den Bahnhof von Nürtingen, angeblich maßstabsgetreu. Dort hat der Chef Kindheit und Jugend verbracht, ging aufs Hölderlin-Gymnasium. Schmidt spricht fast eine Stunde lang über Schwaben, die Bahn, Abfahrtszeiten, zeigt mit einem Zeigestock Details im Modell. Es sind Belanglosigkeiten, bei anderen hätte man längst umgeschaltet, aber bei Schmidt hören alle zu. Er setzt Pointe um Pointe, beeindruckend improvisiert oder genial ausgedacht. „Deutschlands brachialster, klügster, giftigster, selbstbewusstester, selbstgerechtester, bester Talkshowmoderator“, so nannte ihn die ZEIT. Wenn es einmal jemanden gegeben hat, der den Humor in Deutschland vorangebracht hat, dann wohl Harald Schmidt.

In einer Kolumne für den Focus hat sich Schmidt vor fast 20 Jahren einmal über Seminare lustig gemacht, die versprechen, Interessierten das Gagschreiben zu beizubringen. Er schreibt: „Witz kann man nicht lernen.“

Damit umreißt Schmidt die Sichtweise, die in Deutschland lange vorherrscht: Witzig-Sein ist ein Instinkt. Du kannst es  – oder eben nicht. In den USA ist das anders: Es gibt Unmengen an Literatur darüber, wie man einen Gag konstruiert. An Schauspielschulen kann man Kurse in Stand-up-Comedy belegen und an Timing und Betonung arbeiten. Die Amerikaner glauben sehr wohl, dass man Witz lernen kann.

In einem stimmen die beiden Humorkulturen überein: im Faktor Erfahrung. Die wahre Comedy-Schule, schreibt Harald Schmidt in seiner Kolumne, das seien das „Schützenhaus in Hankensbüttel“ oder das „Soldatenheim in Kempten“. Die kleinen Bühnen. Ein Entertainer wird man nicht im Fernsehen. Schmidt: „Die Ochsentour kann durch nichts ersetzt werden, schon gar nicht durch Wochenendkurse bei gescheiterten Leuten.“
Ankündigung von der Comedy-Show 'Wilde Ponys' in Berlin


Da ist es wieder, das Scheitern. Everybody bombs, das gilt für Entertainer und Stand-up-Comedians. Bestimmt hat auch Schmidt einmal gebombt. Bill Burr stand mit zitternden Knien da wie der 17-Jährige bei Ja&Weiter, Louis C. K. hat sich verhaspelt. Everybody bombs. Ausnahmslos. Nur haben die Profis weitergemacht, oder anders: Nur weil sie Jahrzehnte weiter gemacht haben, wurden sie zu den Bühnentieren, die sie heute sind.

Die absolute Kontrolle auf der Bühne haben sie nur, weil sie bereit waren, ihre Gags immer und immer wieder schmerzhaften Prüfungen zu unterziehen. Schmerzhaft für das Publikum (in Form von peinlichen Stillen, Unwohlsein, Fremdscham), und schmerzhaft für sie selbst (in Form von Ablehnung und der Einsicht, vielleicht einfach nicht lustig zu sein). Nichts ist nur lustig. Nichts ist nur tragisch. Im Film Funny Bones bringt es eine Figur so auf den Punkt: „I never saw anything funny that didn't cause pain.“

Wer auf der Bühne versagt, ist kein schlechter Comedian, er ist überhaupt erst dann richtiger Comedian, wenn er versagt hat  – weil das bedeutet, dass er draußen war.

Bei der Berliner Stand-up-Show Chips&Kaviar spielen mehrere Comedians und Comediennes einige Minuten lang
In Berlin lässt sich das Scheitern und das Gelingen besonders gut beobachten. Weil es so viele Shows gibt, kann ein Künstler an einem einzigen Abend zwei, drei, vier Mal spielen. Hier kann man eine junge Frau kennenlernen, die gerade dabei ist, den Sprung vom Sieben-Minuten-Spot zum eigenen abendfüllenden Programm zu tun.

Neukölln, ein Sonntagabend im November. Kurz vor 19 Uhr drängt sich im Oblomov eine Menschenschlange vor der Tür zum Nebenraum, einmal quer durch den Schankraum. Dort drin: drei Dutzend Stühle, ein Spot, eine rote Wand, davor ein Mikrofonständer. Eine Bühne gibt es nicht. Die Reihe nennt sich Chips und Kaviar und gleich wird eine Handvoll Comedians auftreten, unter ihnen Erika Ratcliffe. 2016 zog sie von Wien nach Berlin, weil es dort die meisten Auftrittsmöglichkeiten gibt. Jetzt spielt sie mehrmals die Woche. (Z. B. bei Stereo Comedy oder bei der Stand-up-Show im Mastul, wie auf unseren Bildern.)

Die Comedienne Erika Ratcliffe spielt in Berlin mehrmals pro Woche, hier bei der Show 'Stereo Comedy'
Im Oblomov kommt Ratcliffe mit Rucksack und Laptoptasche nach vorne, stellt sie am Rand ab und greift sich das Mikro vom Ständer. Sie zieht die Ärmel nach hinten, führt das Mikro zum Mund, holt Luft. Sie hält inne und lässt den Blick über das Publikum gleiten.

„Hallo, mein Name ist Erika Ratcliffe. Ich komm' aus Wien“, sagt sie.

„Ich bin halb Japanerin, halb Österreicherin. Das heißt, mein Leben ist scheiße.“ Erster Lacher.

„Mein Vater ist ein jüdischer Österreicher und meine Mutter ist eine rassistische Japanerin“, sagt sie. „Mein Vater hasst diesen Witz. Und meine Mutter versteht ihn nicht.“

Ihre Mutter sage immer, sie sei keine Rassistin, aber Japaner seien halt besser als Chinesen. Ratcliffe habe ihr entgegnet: „Weißt du, Mama, für einen Europäer schauen wir alle gleich aus. Wir schauen alle aus wie eine Person für sie. Nämlich Lucy Liu. Ich schau' aus wie Lucy Liu. Jacky Chan schaut aus wie Lucy Liu. Obama schaut aus wie Lucy Liu.“

Acht Minuten spricht Ratcliffe: darüber, wenn zu viele Asiaten auf einmal an der Supermarktkasse stehen („Wir müssen uns doch besser aufteilen“), wenn Asiaten in der S-Bahn laut „auf Asiatisch“ telefonieren, über Menschen, die „onanieren“ sagen anstatt „wichsen“. („Wer onaniert, hört dabei auch Beethoven.“) Sie sagt, sie bekomme Panikattacken in „Menschenmassen, so wie hier“. Aber ein Freund gab ihr den guten Tipp: „Sag' einfach allahu akbar und die Leute werden davonlaufen.“ So kommt sie auf Terroranschläge und wie sie sich nicht verhindern lassen. Wäre sie eine Politikerin, würde sie sich den Slogan geben: „Erika Ratcliffe. Terror. Na und?“ Applaus und Lacher, wenn auch heute keine brüllenden.

Erika Ratcliffe macht Stand-up, manchmal auch politisch, weil das zu ihrem Leben gehört
Ratcliffes Themen kommen aus ihrem Alltag. Der klassische politische Witz interessiert sie nicht. Der Kreis, in dem sie sich bewegt: „Das sind doch zu 99 Prozent polyamouröse, linksliberale Flohmarktgänger, wir sind uns doch eh alle einig.“ Witze über Trump bringen dann Gesinnungsapplaus. Warum trotzdem so viele gemacht werden? „Die Leute wollen es halt hören“, sagt Ratcliffe. Aber man erahne beim Zuhören schon oft die Punchline. Und erwartbare Witze seien hack, also Mist im Stand-up-Jargon. „Wenn es überraschend wird, wird es am lustigsten“, sagt Ratcliffe. Nicht zu verwirrend, aber frisch. „Gedanklich an Themen rankommen, über die man sonst nicht nachdenken würde.“

Wenn das politische Kabarett immer fader wird, ist unpolitische Comedy dann die Lösung? „Wieso sollte das nicht politisch sein, wenn Frauen darüber sprechen, wie sie stark sind, oder Männer darüber, dass sie schwach sind oder Erektionsstörungen haben?“, fragt Ratcliffe.

Ein großer Unterschied zwischen politischem Kabarett und Stand-up-Comedy: Der Kabarettist sieht Politik als Parteipolitik, als Ränkeschmieden, das es anzuprangern gilt. Er beschäftigt sich mit Politik, weil das wichtig ist. Denn die Welt ist nicht gut. Sie sollte anders sein, aber die Anzugträger, „die da oben“, verhindern das. Eine Botschaft, die man natürlich als Prämisse von vielen Witzen verwenden kann. Ob die dann überraschend oder originell sind, ist eine andere Frage.

Müsste man das Politkabarett auf eine Formel bringen, könnte die lauten: Sie machen es uns nicht leicht und wir können nichts dran ändern  – darüber kann man nur lachen.

„Wieso sollte das nicht politisch sein, wenn Frauen darüber sprechen, wie sie stark sind, oder Männer darüber, dass sie Erektionsstörungen haben?“
Auch der Stand-up-Comedian ist politisch  – aber nicht, indem er das Tagesgeschehen anprangert oder sich als SPD-Wähler outet. Politisch ist es, wenn jemand aus seinem Leben als Frau berichtet, aus seinem Leben mit Migrationshintergrund. Fehlende Gleichberechtigung anprangern kann jeder. Aber nur eine Frau kann darüber Witze aus eigener Erfahrung machen. Dass Rassismus gefährlich und falsch ist, weiß jeder. Aber Ratcliffe macht Witze über ihr asiatisches Aussehen und Rassismus, weil beides zu ihrer Lebenswelt gehört.

Stand-up-Comedians sprechen immer „als X“ zu den Zuschauern. Als Nerd. Als Mensch mit Migrationshintergrund. Als privilegierter, weißer Mensch. Als Schwarzer. Als Mutter. Als Legastheniker. Als Lesbe. Als Schüler. Die Politik kommt, ebenso wie der Witz, aus der Person ins Programm.

Gegenprobe: Als was sprach früher Harald Schmidt? Als Schwabe, klar, als Brillenträger. Existenzieller wurde es bei Schmidt nicht. Er ist ein Entertainer mit grandiosem Timing und einem Gespür für Punchlines. Aber er schwebte immer über den Dingen. Für seine Show nahm er ein amerikanisches Format, entpolitisierte es, reflektierte es, spielte mit Metaebenen, stellte Gagschreiber an. Es war die Parodie eines parodierenden Formats. Als Person blieb Schmidt kaum zu fassen. In dem Sinne ist Jan Böhmermann ein direkter Nachfahre Schmidts.

Kabarettisten haben ein Anliegen,
Stand-up-Comedians leben ihr Leben
Schmidt sprach als Kommentator, und Kabarettisten wie Volker Pispers sprechen: als Kabarettisten. Lassen wir kurz mal den Alltag hinter uns, es geht hier um was Wichtiges. Die Witze gehen direkt ins Gehirn und werden dort entschlüsselt. Ausgespart wird dabei, dass auch der Alltag sehr wichtig sein kann.

Nach dem Auftritt im Oblomov quetscht sich Ratcliffe mit anderen Comedians und Künstlern in ein Auto, sieben Kilometer sind es zum nächsten Auftritt, im Zosch in Mitte. Vor den Fenstern zieht das Kottbusser Tor vorbei, das Rote Rathaus, der Hackesche Markt. Drinnen: Austausch. Welche Bühnen haben eine gute Energie, welche Veranstalter lassen es schleifen?

Ein freier Parkplatz, wenige Meter vor dem Eingang. Die Show hat schon angefangen, Titel: Aufstand Comedy, Untertitel Statt Tatort. Sie ist gut besucht, 40 Gäste stecken im Gewölbekeller.

Comedienne kurz vor der Show: Erika Ratcliffe geht noch einmal ihre Bits und Ideen durch
Ratcliffe hat keinen Grund zur Eile. Sie ist nach der Pause dran. Sie trinkt nicht, steht hinten, vor ihr auf dem Tresen ein Collegeblock mit Notizen. Mal schaut sie, was vorne auf der Bühne gerade passiert. Findet sie etwas gut, tönt ihre helle Lache durch den Raum. Dann neigt sie den Kopf nach unten, notiert einen Gedanken, mal auf Papier, mal auf dem Rücken der linken Hand. Ein Spickzettel für den Auftritt.

Diesmal erzählt sie andere Witze. Zum Beispiel: Ihre japanische Mutter habe einmal stolz erzählt, dass sie mit einem erfolgreichen Sumoringer zusammen war. „Mama, das ist nichts, worauf du hier in Europa stolz sein kannst“, sagt Ratcliffe. „Wenn du das hier erzählt, heißt das, dass du was mit einem fetten Typen hattest. Im String-Tanga.“

Sie probiert auch aus. Die Performance ist manchmal noch nicht rund und stellenweise kompliziert. Es ist ein Risiko, das Comedians wie Ratcliffe eingehen. Aber weil sich eine Menschenmenge nicht verstellen kann, wird das Risiko immer mit ehrlichem Feedback belohnt. Mit Lachern  – oder mit Stille. Was Lacher bringt, behält Ratcliffe im Repertoire. Was nicht, wird umformuliert. Oder fliegt raus.

Aus einem Gag werden zwei, aus mehreren Gags zu einem Thema wird ein Bit, aus Bits wird ein Set. Minute um Minute wird angehäuft. Anfang des Jahres hat Ratcliffe in Wien angefangen, ihr Soloprogramm „Geil“ zu spielen. Auch eine Agentur hat sie jetzt. Die nennt „Geil“ eine „Hommage an ihr kurzes turbulentes Leben“. Geschichten über Männer, Frauen, Panikattacken, Liebe, Rassismus „und eigentlich eh über alles“.

Und jetzt?
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© Bernhard Hiergeist