Politisch, zynisch böse: Der Ursprung der Stand-up-Comedy
Anfang der 1950er Jahre steigt in einer verrauchten Bar in New York ein schlanker Mann auf eine Bühne. Er sieht ein wenig aus wie der Sänger Elvis Presley und trägt einen akkuraten Anzug. Dem Mann ist aufgefallen: Stehen Kriegsveteranen auf der Bühne, erwähnen sie immer ihre militärischen Verdienste, um eine Beziehung zum Publikum aufzubauen. Er war selbst im Zweiten Weltkrieg Soldat der Navy, kämpfte in Italien gegen die Achsenmächte, aber er findet das alles albern. Darum hat er sich Orden an den Anzug geheftet, bizarr vergrößert. Die Band lässt er einen Marinemarsch spielen. Er kann kaum einen Satz sagen, da springt ein Zuschauer auf, will auf ihn losgehen. „Es war das erste Mal, dass ich echte Feindseligkeit von einem Publikum spürte“, wird der Künstler später in seiner Biografie schreiben. „Und sie hatten das Wesentliche gar nicht begriffen.“Vielleicht kommt das dem deutschen Politkabarett ziemlich nahe. Aber die Unterscheidung interessiert in den USA auch niemanden, sprachlich schon gleich gar nicht. Stand-up? Heißt Comedy. Sketche im Fernsehen? Comedy. Kabarett? Comedy. Comedy? Einfach Comedy.
Wird man ja wohl noch sagen dürfen?
Nicht in den USA der 1950er Jahre
Bruce schreibt alle seine Gags selbst. Er rechnet ab mit Kirche und Staat und provoziert, sagt fuck und cunt auf der Bühne. Wird man ja wohl noch sagen dürfen? Nicht in den USA der 1950er Jahre. Bruce sitzt im Gefängnis, immer und immer wieder, auch wegen seines Drogenkonsums. In den 1960ern hat er fast überall im Land Auftrittsverbot. Er stirbt verarmt, vermutlich an einer Überdosis Heroin. Aber die Tür zur Stand-up-Comedy steht nun offen. Und das Böse, jetzt, wo es einmal da ist, bleibt.
Nicht in den USA der 1950er Jahre
Gute Stand-up-Comedians nehmen den Zuschauer an der Hand, gehen mit ihm Gedankengänge entlang, biegen ab, wo er nicht abgebogen wäre, bis er sich am Ende an einem Ort wiederfindet, an der er nie gegangen wäre. Der Amerikaner Bill Burr macht Witze darüber, dass es natürlich Gründe gibt, Frauen zu schlagen. Man tut es nicht, daran lässt er nie einen Zweifel. Aber zu behaupten, es gäbe keine Gründe dafür, sagt Burr, sei arrogant: „Sind Sie besser als wir anderen? Gehen Sie etwa niemals jemandem auf die Nerven?“
Zum Beispiel darüber, Kinder mit Nussallergie zu schützen. „Natürlich sollten wir alles dafür tun, um sie von Nüssen fernzuhalten“, sagte er. „Aber wenn es dich umbringt, eine Nuss zu berühren, solltest du vielleicht sterben.“ Dieses Tandem aus of course… but maybe (natürlich… aber vielleicht…) treibt er weiter, bis zu „Natürlich ist Sklaverei das Schlimmste, was jemals passiert ist.“
Die Komik entsteht nicht aus dem Versuch, lustig zu sein, sondern aus natürlicher Reibung
Es sind auch Dinge, die man eigentlich nicht sagt, zumindest nicht laut oder in Gesellschaft. Burr und Louis C. K. bekamen natürlich auch Shitstorms ab. Allerdings nicht nicht die typisch deutsche Variante: Hier äußert sich jemand, sagen wir, die Altneihauser Feuerwehrkapell'n bei ihrem Auftritt beim Fasching in Veitshöchheim, maximal unbedacht oder provokativ, erntet Widerspruch, versteht die Welt nicht mehr und hält die Erregung durch Uneinsichtigkeit oder Trotz künstlich am Laufen. Burr oder C. K. nehmen streitbare Standpunkte ein, aber die sind dafür deutlich. Ihre Gedankengänge und Auffassungen legen sie nachvollziehbar konstruiert und gut begründet dar. Die Altneihauser Feierwehrkapell'n zum Beispiel verweigerte das.
Solides Handwerk, Weltanschauung, Anschlussfähigkeit, das wären schon mal wichtige Faktoren für eine Existenz als Comedian. Für eine Karriere reicht das aber nicht. Denn die wichtigste Zutat fehlt noch.
WEITER ZU KAP 5
>